Wie
sehen Sie die momentane Situation in der wissenschaftlichen
und in der praktischen Sportpsychologie?
Die wissenschaftliche Psychologie hat die meisten relevanten
Themen erfasst und behandelt. Es existiert eine grosse Anzahl
an Grundlagenforschung, welche teilweise so stark detailliert
und abstrahiert abgehandelt wurde, dass deren Erkenntnisse
für den Praktiker oft nicht umsetzbar sind. In der wissenschaftlichen
Sportpsychologie besteht aber nach wie vor ein Mangel an anwendungsorientierter
Forschung. Nur wenige Untersuchungen beschäftigen sich bis
dato beispielsweise mit der Überprüfung der Auswirkungen von
Interventionen, sowie mit der Wirksamkeit von psychologischen
Massnahmen. Die praktische Sportpsychologie lebt, zumindest
in der Schweiz, von einigen wenigen Sportpsychologen, die
sich auf Grund ihrer sportpsychologischen Tätigkeit einen
Namen geschaffen haben. Dies, obwohl die Sportpsychologie
in den vergangenen Jahren an Akzeptanz gewonnen hat. Ein wesentlicher
Grund liegt meiner Meinung nach darin, dass viele Psychologen
zentrale Gegebenheiten in der "Subkultur (Spitzen-) Sport"
nicht erfasst haben. Es sind dies Gegebenheiten, die nur sehr
schwer "studierbar" sind. Idealerweise sind diese durch eigene
Erfahrungen im Bereich des (Spitzen-)sports angeeignet worden.
Deswegen werden die Bedürfnisse der Athleten meist gar nicht
richtig verstanden, oder es kann nicht adäquat darauf eingegangen
werden. Es besteht die Gefahr, dass der Sport von den Psychologen
"verpsychologisiert" wird. Zudem fehlt es den meisten Psychologen
auch an Wissen in Bezug auf das Vermitteln von mentalen Fertigkeiten.
Oft (wenn überhaupt) beschränken sich die Interventionsmassnahmen
auf eine spezifische Technik (Autogenes Training, NLP usw.),
was in Einzelfällen sehr erfolgreich sein mag, aber womit
man der Individualität der einzelnen Athleten nicht gerecht
wird.
Wie
sehen Sie die Perspektiven?
Das Bedürfnis an sportpsychologischer Betreuung in der Praxis
des (Spitzen-)sports wird in den kommenden Jahren weiter wachsen.
Die Konkurrenz zwischen den Athleten wird immer grösser und
die Trainingsmethoden werden weiter optimiert. Bei dichtgedrängtem
Trainings- und Wettkampfprogrammen wird der mentalen Stärke
eine stetig zentralere Rolle zukommen, wenn es darum geht,
(a) das sportliche Potential (physische Verfassung, technische
und taktische Voraussetzungen) unter Druck umzusetzen und
(b) eine grosse Konstanz in den sportlichen Höchstleistungen
zu erlangen. Ich vermute deshalb, dass die Nachfrage für das
mentale Training und die sportpsychologische Betreuung steigen
wird. Psychologische Fachkräfte können aber den Erwartungen
des (Spitzen-)sports nur dann gerecht werden, wenn sie sich
eingehend mit den Anforderungen der verschiedenen Sportarten
befassen, sich bis zu einem gewissen Punkt mit der physischen
Trainings- und Ernährungslehre auskennen, sowie ihre Rolle
innerhalb des Betreuungsteams genau kennen und bewusst wahrnehmen,
was im Spitzensport oft einen sehr grossen Einsatz fordert.
Nur bei Erfüllen dieser interdisziplinären Bedingungen werden
sich Psychologen zukünftig vermehrt in die Praxis des Spitzensports
integrieren können.
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